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Leben in der Jurte: 3 Dinge, die du unbedingt wissen musst

Ein Leben in der Jurte ist für viele die ultimative Aussteigerromantik. Mitten in der Natur, mit Blick in den Himmel, im Winter der knisternde Ofen, im Sommer der Blick ins Grüne.

Ich habe 2023 für 6 Monate in einer Jurte gelebt und teile in diesem Beitrag meine ungefilterten Erfahrungen und Learnings mit dir.

 

In einer Jurte zu leben war schon seit ein paar Jahren eine mögliche Option in meinem Plan mir meinen Traum vom räumlichen Zusammenleben mit meinem Pferd verwirklichen. Also eben nicht Pferd am Haus, sondern "Haus" beim Pferd. Als sich dann Anfang 2023 ganz unverhofft die Gelegenheit ergeben hat in eine Jurten-WG zu ziehen, habe ich nicht lange gezögert um mal zu checken was dran ist an der Jurtenromantik. In diesem Beitrag will ich dir von meinen drei größten Erkenntnissen erzählen…stell dich drauf ein, deinen Traum von der eigenen Jurte nochmal gründlich zu hinterfragen.

 

1. Truthbomb: Jurtenleben ist nicht automatisch nachhaltig

Der Wunsch vom Nachhaltigen und minimalistischen Leben in der Jurte, das ist es, was das Leben in der Jurte für viele so attraktiv macht. Erstmal eine wichtige Sache vorab, um nachhaltig und minimalistisch zu leben muss man nicht in eine Jurte ziehen. Je nachdem gibt es beim Jurtenleben auch einige Nachhaltigkeitsfallen auf die ich im Folgenden eingehen möchte.

Augen auf beim Jurtenkauf

Der Ursprung der Jurten liegt in Zentralasien, dort ist das Wetter trocken und wenn es doch mal regnet, trocknet der Wind die Jurte zeitnah wieder ab. Die deutschen Winter sind anders, bei uns steht die Feuchtigkeit im Winter in den kalten Monaten teilweise wochenlang und von alleine trocknet da gar nichts. Eine wirklich traditionelle Jurte ist für unser Klima also total ungeeignet. Der traditionelle Regenschutz aus Filzwolle wäre bei uns dann doch irgendwann durchgeweicht, deshalb wird für eigentlich alle Jurten, die für unser Klima konzipiert sind eine wasserdichte Außenhaut verbaut. Das heißt dann aber auch, dass die Feuchtigkeit von innen auch nicht mehr einfach so nach außen diffundieren kann und das kann zufolge haben, dass die Jurte unter dem Regentuch anfängt zu "schwitzen" und im schlimmsten Fall zu schimmeln. Es bringt also nix, eine kirgisische oder mongolische Jurte zu importieren und so wie sie ist hier aufzustellen, auch wenn es auf dem Markt immer mehr importierte Jurten zu kaufen gibt.

Nachhaltige Materialien

Auf dem Jurtenmarkt gibt es ja inzwischen echt alles, von Jurten aus fast ausschließlich recycelten Materialen, über importierte Jurten aus Zentralasien und Selbstbauvarianten mit Baumarktholz. Regionale und ökologisch produzierte Rohstoffe oder gebrauchte Bauteile sind natürlich super, aber damit ist es aus meiner Sicht nicht getan. Was eine Jurte so richtig nachhaltig macht, ist ihre Langlebigkeit und da lohnt es sich zweimal hinzuschauen.  Bei vielen Modellen muss nach wenigen Jahren das Außentuch ausgetauscht werden, weil es durch die UV Strahlung mit der Zeit seine Funktion verliert. Kann natürlich prinzipiell recycelt werden, aber finde ich wichtig zu wissen und ein neues Außentuch ist schon auch ein Kostenpunkt, den nicht jeder mal so eben aus der Portokasse bezahlt. Außerdem birgt die Feuchtigkeit noch ein weiteres Risiko, denn Holz mag es nicht, wenn irgendwo das Wasser steht. Wenn die Jurte nicht optimal konzipiert ist hat man schneller Stockflecken in den Fensterrahmen als man gucken kann oder im schlimmsten Fall bahnt sich der Regen dann doch irgendwo seinen Weg in die Jurte. Manch einer mag mich pingelig nennen, dass ich das hier aufführe, aber ich habe mir über sowas vorher echt gar keine Gedanken gemacht und du bist ja hier, um meine ungefilterten Learnings zu bekommen.

Der runde Raum

Normale Möbel haben Ecken und Kanten, aber die Jurte keine gerade Wand. Ich bin kein Profi im Einrichten, zumindest wenn ich nur begrenztes Budget und das zur Verfügung habe, was Kleinanzeigen auf dem Land so hergibt. Ich hatte beim Einzug in die Jurte eben die Möbel die ich hatte, ein Innenausbau nach Maß war für mich unrealistisch, da für mich von Anfang an klar war, dass ich nur vorübergehend in dieser Jurte leben würde. Zwei Ikea Kallax Regale, einen kleinen Schreibtisch (meinen heiß geliebten 2m langen Eichenschreibtisch musste ich schlussendlich einlagern) eine 140 Matratze, noch zwei weitere kleinere Regale und später noch ein kleiner Küchenblock. Meine 5m Jurte hatte knapp 20 qm, im Prinzip mehr als genug Platz für meine Sachen, aber durch die runden Wände und das Ziel die runde Form der Jurte im inneren nicht komplett durch massige Möbel zu zerstören hat mich der Einrichtungsprozess insgesamt doch ziemlich herausgefordert. Bei größeren Jurten ist das deutlich einfacher, weil ein Doppelbett dann nicht direkt den kompletten Raum bis unter die Kuppel einnimmt, aber gerade bei Jurten mit 5m Durchmesser und kleiner sollte man Bedenken, dass nicht mehr viel freier Raum in der Jurtenmitte bleibt, wenn man alles unterbringen will, was man in einem klassischen WG Zimmer eben so hat. Aber eine größere Jurte heißt auch direkt deutlich mehr Volumen was geheizt werden muss und mehr Materialaufwand. Inzwischen lebe ich in einem deutlich kleineren Zimmer und hatte gar kein Probleme meine Sachen unterzubringen. Der Fairness halber muss man aber auch sagen, dass ein maßgefertigter Innenausbau da wirklich einen großen Unterschied macht.

 

2. Truthbomb: Jurte einfach abbauen und los - naja

Eine Jurte war für mich attraktiv, weil ich nicht nur den Gedanken gut fand, sie überall aufstellen zu können, sondern auch den Gedanken mein Zuhause einfach mitnehmen zu können, wenn ein Ort für mich nicht mehr passend anfühlt. Beim Aufbauen der Jurte habe ich dann allerdings ziemlich schnell festgestellt, so eine Wohnjurte ist doch deutlich aufwändiger abzubauen, zu transportieren und dann wieder aufzubauen als ich mir das Gedacht hatte.

Das hat auch mit den Unterschieden zu den traditionellen Jurten zu tun. Außerdem ist der Jurtenauf- und -abbau bei den Nomaden eine Gemeinschaftsaufgabe und zwar eine ziemlich gut geübte wo jede Hand weiß was Sie tut. Wenn man in Deutschland mit einer Jurte umziehen will, hat man am besten auch einige jurtenerfahrene Helfer, aber die sind rar. Mir sind auch noch keine professionellen Jurtenumzugsunternehmen bekannt, Dir?

Je nach dem wo die Jurte dann stehen soll, muss auch die Plattform neu konstruiert und gebaut werden. Und klar, ein paar Robinienpfähle einschlagen und dann da mit Balken ein Konstrukt draufzimmern ist jetzt vielleicht nicht ultra Komplex, aber für mein persönliches Gefühl trotzdem eine Hürde.

 

3. Truthbomb: Ein Leben in der Jurte ist ein Leben in der Grauzone

…und wenn du Pech hast wirst du unfreiwillig zum Nomaden. Es gibt aktuell keinen praktikablen rechtlichen Rahmen um eine Jurte über 6m Durchmesser legal länger als für 6 Monate aufzustellen. Es gibt zwar einige Workarounds um die aktuelle Gesetzeslage (wie zum Beispiel die Deklaration als Baustellenunterkunft oder Stall), aber für mich und meinen Traum vom Leben in der Natur ist es ein zentraler Aspekt endlich ein sicheres Zuhause zu haben an dem ich ankommen kann. Worauf ich keinen Bock habe ist ständig in Sorge zu Leben ein Nachbar oder auch nur jemand der zufällig am Grundstück vorbeiläuft könnte mich beim Landratsamt melden und irgendwann dann per Amtspost zu erfahren, dass ich mein Zuhause räumen und zurückbauen muss.

Wenn man den Jurtenmarkt und vor Allem auch den Gebrauchtmarkt ein bisschen im Blick behält wird deutlich, oft verkaufen Menschen ihre Jurten auch wieder. Was ja prinzipiell ein Vorteil einer Jurte ist: "Wenns nicht mehr passt kann man sie ortunabhängig weiterverkaufen" ist bei genauerem Hinsehen in der Praxis oft ein Symptom der rechtlich prekären Situation: Baugenehmigungen sind (noch) extrem aufwändig und kostenintensiv, die Vermietung an Gäste ist für verfahrensfreie Bauten nicht gestattet, Jurten die bisher problemlos genutzt werden konnten,  müssen wegen Auslaufen von Duldungsfristen abgebaut werden. Aber damit nicht genug.

Man braucht Glück mit dem Schornsteinfeger

Hinzu kommt auch, dass du nicht nur für das Aufstellen der Jurte eine rechtliche Grundlage oder Genehmigung brauchst, sondern auch für das Betreiben eines Kaminofens. In Deutschland brauchst du, wenn du mit einem Holzofen heizen möchtest eine Abnahme vom Bezirksschornsteinfeger. Ob der Schornsteinfeger einen Ofen in einer Jurte abnimmt hängt wohl vom jeweiligen Schornsteinfeger ab, genauso auch der Preis für die Prozedur. Ich bin bei meinen Recherchen auf Preise zwischen 40€ und 160€ gestoßen. Um Geld zu sparen einfach den schmucken Werkstattofen von Opa einbauen ist übrigens auch nicht, denn seit 2024 gelten neue Abgasnormen.

Wenn du jetzt denkst: "Ok Lia, aber wenn ich in Sachsen-Anhalt eine 5m Jurte verfahrensfrei aufstelle und Glück habe, dass der Schornsteinfeger mir meinen Kamin abnimmt bin ich ja safe", dann muss ich dir leider noch sagen, dass das Befeuern von verfahrensfreien Bauten nicht gestattet ist.

Abgesehen davon ist mit Holz heizen auch deutlich schlechter als sein Ruf. Denn obwohl Holz zwar nachwächst und beim Verfeuern nur das CO2 in die Atmosphäre kommt, welches der Baum vorher im Holz gebunden hat wäre es für den Klimaschutz wichtig, dass das CO2 in der Biomasse gebunden bleibt und das Totholz optimalerweise im Wald verbleibt um ein gesundes und stabiles Ökosystem zu erhalten, womit wir wieder beim Thema Nachhaltigkeit wären. Eine nachhaltige Alternative könnte eine solarbetriebene Wärmepumpe sein.

 

Mein Fazit zum Jurtenleben

Ich will mit diesem Artikel niemandem das Leben in der Jurte madig machen und ich will auch überhaupt nicht den Eindruck erwecken, dass ein nachhaltiges Leben in der Jurte nicht möglich ist. In einer Jurt zu leben ist aus meiner Sicht eine Lifestyle-Entscheidung, nachhaltig Leben kann man fast überall. 

Mein Ziel mit diesem Beitrag ist es, dir nochmal vor Augen zu führen, dass es sich lohnt die Jurtenromantik gründlich zu hinterfragen und zu überlegen, ob eine Jurte wirklich das Zuhause ist, was deine Bedürfnisse am besten erfüllt. Wenn du ein handwerklich fittes Umfeld vor Ort hast, was mit dir mal eben an einem Wochenende deine Jurte umzieht, dann ist es für dich wahrscheinlich lächerlich, dass das für mich eine Hürde darstellt. Wenn du eh jemand bist, der mal hier mal dort lebt und einfach eine coole Behausung will, dann juckt dich auch der Räumungsbescheid vom Landratsamt nicht, weil du eh demnächst weiterziehen wirst.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich irgendwann nochmal eine Jurte haben werde. Allerdings nicht als Wohnraum, sondern als Gemeinschafts- und Veranstaltungsraum. Als wunderschönen und magischen Raum für Verbindung und gemeinsame Entfaltung.

 

Du wünschst dir ein alternatives Leben, aber weißt gar nicht wie du deinen Traum angehen sollst? Schau mal hier.